Nasenspray – gefährlicher als Cocain?

Copyright: jaane78 - FotoliaGanz klar: Es handelt sich um eine rhetorische Frage.
Und auch ganz klar: Die Antwort ist „nein“!

Wie kommt man überhaupt auf eine derartige Frage?

Diese Frage drängt sich mir geradezu auf, wenn ich all die das Nasenspray betreffenden Warnungen höre und lese. Wenn ich Patienten frage, ob sie Nasenspray genommen haben, ernte ich oftmals fragende und entrüstete Blicke: „Nasenspray ist doch gefährlich!“

Und nun schreibe ich einen Artikel über Nasenspray und tue mich sehr schwer damit, weil Nasenspray ein Medikament ist, das nicht nur Wirkungen hat, sondern auch Nebenwirkungen – wie alle „richtigen“ Medikamente! Und ich möchte in diesem Artikel die Nebenwirkungen etwas relativieren, ohne dem Nasenspray zugleich eine Unbedenklichkeitserklärung auszustellen.

Ahnen Sie, was ich sagen möchte? Ich möchte sagen, dass Nasenspray „grau“ ist! Es ist nicht „weiß“. Es ist aber auch nicht „schwarz“!

Was ist überhaupt Nasenspray (Nasentropfen sind identisch; sie werden nur auf andere Art und Weise in die Nase gebracht – „appliziert“. Wenn ich von „Nasenspray“ spreche, schließe ich gleichermaßen auch immer die Nasentropfen in meine Überlegungen ein.)?

Nasenspray ist eine pharmakologische Weiterentwicklung eines körpereigenen Hormons: des Adrenalins. Adrenalin setzt Leistungsreserven des Körpers frei, wenn es mal „brenzlig“ wird. In diesem Rahmen hat Adrenalin auch eine Wirkung auf die Nasenschleimhäute.

Die Nase hat ja bekanntlich die Aufgabe, die Atemluft zu erwärmen, zu befeuchten und den Staub herauszufiltern: Die tiefen Atemwege und die Lunge können Kälte, Trockenheit und Staub nicht sehr lange ertragen. Wenn die Atemluft also mal kalt, trocken oder staubig ist, dann schwellen die Nasenschleimhäute an und vergrößern dabei ihre Oberfläche und ihr Volumen. Über die größere Oberfläche können die Nasenschleimhäute mehr Wärme und mehr Feuchtigkeit abgeben und sie können mehr Staub herausfiltern. Über das größere Volumen „bremsen“ sie den Atemstrom „aus“, sodass die Nase mehr Zeit hat, Wärme und Feuchtigkeit abzugeben und Staub herauszufiltern.

Copyright: Undine Aust - FotoliaIn Ruhe ist ein geringer Atemstrom für den Körper durchaus sinnvoll, da die tiefen Atemwege und die Lunge vor Auskühlung, Austrocknung und Verschmutzung bewahrt werden. Aber wenn mal ein Raubtier Jagd auf unsere Vorfahren gemacht hatte, dann mussten sie schnell wegrennen – können! Mit einer engen Nase und zu wenig Sauerstoff für die Muskulatur war das nicht möglich. An dieser Stelle hat das Adrenalin eingegriffen: Es hat im Rahmen seines „Leistungssteigerungsprogamms“ auch eine Abschwellung der Nasenschleimhäute in seinem „Portfolio“! Wenn der Körper schon fast ohne Unterbrechung seine eigene Lunge vor Kälte, Austrocknung und Staub schützt, so muss er das ja nicht ausgerechnet auf der Flucht auch noch tun! Da hat das Überleben uneingeschränkt die oberste Priorität. Die Lunge wird in den paar Minuten der Flucht schon keinen Schaden nehmen! Und nach gelungener Flucht, kann sich der Körper ja auch wieder erholen und die Schleimhäute der Nase wieder etwas dicker werden. – Lebewesen, bei denen dieser Abschwellungsmechanismus nicht „einprogrammiert“ war, sind nicht unsere Vorfahren geworden! Sie wurden entweder gefressen oder sind auf der Flucht erstickt … Wieder einmal ein Beispiel für die Methode der Evolution!

Wenn wir heute aus medizinischen Gründen die Nasenschleimhaut abschwellen wollen, dann brauchen wir dazu natürlich nicht das gesamte leistungssteigernde „Portfolio“ des Adrenalins; es reicht die alleinige abschwellende Wirkung auf die Nasenschleimhaut. Auch, wenn es niemals ganz gelingt, alle Wirkungen beim „Designen“ des Medikaments „Nasenspray“ säuberlich voneinander zu trennen: Nasenspray hat ein deutlich schmaleres Wirkungsspektrum als Adrenalin! Dementsprechend wird Nasenspray in der Intensivmedizin oder in der Kardiologie erst gar nicht eingesetzt …

Wir hatten uns bereits Gedanken gemacht, wie die Nase die tiefen Atemwege schützt, wenn die Atemluft kalt, trocken oder staubig ist: Durch Anschwellung. Nun gibt es aber durchaus auch Orte und Zeiten, in denen die Atemluft von Natur aus schon warm, feucht und staubarm ist. Was passiert dann mit der Nase? Ganz klar: Die Nasenschleimhäute schwellen ab! Sie brauchen dann ja nicht angeschwollen zu sein, weil das, was die Anschwellung bewirken will, bereits eingetreten ist – ohne Anschwellung!

Wenn der Mensch – in Gestalt eines Arztes – also nicht eingreift, dann unterliegt der Schwellungszustand der Nasenschleimhaut einem „Regelkreis“! Bei kalter oder trockener oder staubiger Luft schwillt die Schleimhaut an; bei warmer oder feuchter oder staubarmer Luft schwillt die Schleimhaut ab.

Und was ist, wenn wir einen ganzen Urlaub im Sommer an der See verbringen? In sauberer Meeresluft und feuchter Wärme? Bleibt die Nasenschleimhaut 4 Wochen ohne Unterbrechung abgeschwollen?

Nein, bleibt sie nicht! Zur Erklärung: Die Schwellung der Schleimhaut wird über den Mechanismus „Erweiterung / Verengung der Blutgefäße“ bewirkt. Der Blutgefäßquerschnitt hat aber nicht nur Einfluss auf den Schwellungszustand der Schleimhaut! Über die Blutgefäße müssen auch Nährstoffe in die Nasenschleimhäute gebracht werden! Und immer, wenn die Nasenschleimhäute ein neues „Lunchpaket“ brauchen, dann werden die Blutgefäße und damit die Schleimhäute wieder dicker.

Haben Sie das bei sich selbst schon einmal beobachtet? Vermutlich nicht! Die Evolution hat nämlich durchaus auch hier sehr bemerkenswerte Strategien hervorgebracht! Wir haben ja bekanntlich zwei Nasenlöcher! Und wenn die Schleimhaut der einen Seite geschwollen ist („Mahlzeit!“), dann ist die Schleimhaut der anderen Seite abgeschwollen – soweit es das Klima erlaubt. Nach etwa 4 Stunden haben die beiden Nasenseiten dann ihre Rollen getauscht. Ein Nasenloch stellt immer die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff sicher und das andere Nasenloch schützt sich selbst vor dem Hungertod! Unsere Nase hat einen „nasalen Zyklus“ von etwa 4 Stunden Dauer.

Der gesamte Ablauf – nasaler Zyklus unter Berücksichtigung der Qualität der Atemluft und der Bedürfnisse des Körpers – wird automatisch vom Körper geregelt! Wenn man für diese Anforderungen ein Computerprogramm schreiben wollte, dann wäre das keine triviale Aufgabe! Schließlich können die Qualitäten „kalt / warm“, „trocken / feucht“ und „staubig / staubarm“ auch in jeder Kombination vorkommen! Kalte Luft kann auch feucht sein, warme Luft kann trocken sein. Auch diese Kombinationen werden von der Regelung des Körpers beherrscht: Eine Art „biologische Fuzzy-Logic“!

Copyright: Sven Weber - FotoliaWenn ein Therapeut (ein Arzt oder der Patient als Selbstbehandler) Nasenspray verwendet, dann muss er wissen, dass er dabei den Bereich der „Regelung“ verlässt und in den Bereich der „Steuerung“ kommt. Bei einer voreingestellten Regelung ist die „Intelligenz“ vom – hoffentlich intelligenten! – Programmierer in das System gebracht worden. Bei einer Steuerung muss der „Steuermann“ seine eigene – hoffentlich vorhandene! – Intelligenz aufwenden.

Und hier liegt eine gewisse Gefahr! Bei allzu häufiger oder ununterbrochener Anwendung von Nasenspray über einen langen Zeitraum kommt zu wenig Blut in die Schleimhäute, sodass – zumindest theoretisch – eine Mangelversorgung der Schleimhäute und in der Folge ein Schleimhautschaden auftreten kann.

Also: Finger weg vom Nasenspray?

Nein, so einfach ist das auch wieder nicht! Die abschwellende Wirkung des Nasensprays ist ja nicht nur purer Luxus, falls die Nasenatmung mal behindert ist. Wir brauchen die abschwellende Wirkung des Nasensprays bei der Behandlung von Entzündungen der Nase und insbesondere der Nasennebenhöhlen (NNH)! Auch zur Verbesserung der Mittelohrbelüftung bei einem „Tubenkatarrh“ ist Nasenspray unverzichtbar.

Wie ich bereits an anderer Stelle erläutert habe, ist das Entzündungssekret in den NNH nicht nur „infiziert“, sondern auch „infektiös“! Der Abfluss der Sekrete ist notwendig, um die Keimlast für das Immunsystem zu senken. Und das wiederum führt zu einer schnelleren Ausheilung.

Um einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Nasenspray ist nicht in der Lage, einen „banalen Schnupfen“ zu verkürzen! Aber es ist in der Lage, eine Verlängerung zu verhindern oder sogar den Übergang von einem „banalen Schnupfen“ in eine langwierige Nasennebenhöhlenentzündung (oder Mittelohrentzündung) zu verhindern. Deshalb mache ich den Schnupfenpatienten gern Mut zur Nasensprayanwendung! Meine Überzeugung ist: Wer 5 Tage früher beginnt mit der Nasensprayanwendung, der darf 30 Tage früher damit aufhören!

Weiter oben habe ich geschrieben, dass eine allzu lange Anwendung von Nasenspray zu einer Mangelversorgung der Nasenschleimhaut kommen kann. Eine solche Erkrankung ist sehr unangenehm! Es kann zu „Nekrosen“ (Gewebe stirbt ab!) und manchmal in der Folge zu einer „Stinknase“ („Ozaena“) kommen. Unter dem unkritischen Gebrauch eines der ersten Nasensprays, die es auf dem Markt gab – „Privin®“ – ist genau das passiert. „Zu Ehren“ dieses Präparates spricht man auch vom „Privinismus“.

Gibt es unter den modernen Nasensprays auch noch Privinismus und Stinknasen? – Die Lehrbücher sagen „Ja“!

Ich möchte an dieser Stelle nicht den Fehler machen und Statistiken, die aus größeren Beobachtungszahlen gewonnen werden, durch meine persönliche Beobachtung widerlegen zu wollen! Aber ich möchte dennoch „vorsichtig“ darauf hinweisen, dass ich in meinem ganzen Berufsleben noch keinen einzigen Nasensprayschaden gesehen habe! Ich habe schon mehrfach Patientinnen und Patienten erlebt, die teilweise bis zu 20 Jahren (zwanzig!) mehrmals täglich Nasenspray verwendet haben! Hätten sie es mir nicht „gebeichtet“ – ich hätte es nicht gesehen! Kürzlich war der erste Patient bei mir, der 30 Jahre Nasenspray verwendet hat: Keine Anzeichen irgendeines Schleimhautschadens!

Damit wir uns nicht missverstehen: Ich finde es überhaupt nicht gut, wenn Patienten so lange Nasenspray verwenden. In solchen Fällen liegen immer Probleme vor, die sich mit Nasenspray ganz offensichtlich nicht lösen lassen. In diesen Fällen muss man gemeinsam eine andere Behandlungsstrategie auswählen.

Naseputzen: Die lästige Alltagsbeschäftigung der Allergiker

Naseputzen: Die lästige Alltagsbeschäftigung im Infektfall

Aber umgekehrt habe ich schon sehr viele Patienten mit langwierigen Infekten oder sogar chronischen Nasennebenhöhlenentzündungen gesehen, die aus Angst vor schlimmen Folgen kein Nasenspray verwenden wollen! Dabei sind die schlimmen Folgen schon längst da – und zwar nicht trotz des Vermeidens von Nasenspray, sondern wegen des Vermeidens von Nasenspray! Und da muss man einfach mal „die Kirche im Dorf“ lassen: Eine zweiwöchige – auch eine zweimonatige! – Nasensprayanwendung ist immer noch kürzer als eine zwanzig- oder dreißigjährige Nasensprayanwendung!

Mein Ratschlag: Zunächst mal muss man dafür sorgen, dass ein akuter Infekt schnell zur Ausheilung kommt. Und wenn man zu diesem Zweck Nasenspray anwenden muss, dann muss man das eben tun!

Die Wirkungsdauer von Nasenspray ist übrigens kürzer als 8 Stunden. Jeder Tag hat 3 mal 8 Stunden! Wenn man die Nasenschleimhaut im Infektfall abschwellen muss, dann sollte man mindestens 4 mal pro Tag Nasenspray anwenden! Eine zu seltene Gabe oder ein vorzeitiges Absetzen – noch vor der Ausheilung des Infektes – ist kontraproduktiv und führt zu verzögerten Heilungen oder zu Rückschlägen.

Außer bei Infekten ist Nasenspray natürlich auch dann erlaubt, wenn die Nase kurzzeitig mal zugeschwollen sein sollte. Das kann z. B. bei klimatischen Änderungen der Fall sein. Im Winter benötigt man häufiger mal Nasenspray als im Sommer. Auch ein Glas Rotwein kann eine regelrechte Nasenblockade verursachen. Aber wenn man in diesen Fällen nur einmal pro Tag Nasenspray anwendet, dann hat man auf knapp 8 Stunden Wirkungsdauer gut 16 Stunden Erholungspause für die Schleimhaut. Da sollte sich ein schlechtes Gewissen in Grenzen halten …

Hin und wieder beklagen Patienten, dass sie bei Infekten selbst mit Nasenspray die Nase nicht mehr frei bekommen können! Das liegt natürlich nicht am Nasenspray, sondern an einer falschen Anwendung! Die Nase hat eine Tiefe von etwa 7 bis 8 Zentimetern. Wenn die Schleimhaut „auf voller Länge“ geschwollen ist, dann kann Nasenspray nur die vorn liegenden Schleimhautareale abschwellen. Bis zu den hinteren Schleimhautarealen kann das Nasenspray erst gar nicht vordringen, weil die Schleimhäute so stark geschwollen sind, dass genau das nicht funktioniert. Dann muss man eben ein paar Minuten warten und ein 2. Mal sprühen! Der 2. Sprühstoß gelangt dann schon bis in größere Tiefen. Die 3. und 4. Sprühstöße erst kommen in die tiefen Nasenregionen! Irgendwann wird die Nase frei sein! Und dann muss man die Nase nur noch durch regelmäßige Anwendung offen halten …

Sollte jedoch nach der Ausheilung des Infektes immer noch das Bedürfnis bestehen, weiter Nasenspray anwenden zu wollen, dann ist zumindest Wachsamkeit geboten!

Nein, die „Lust“ auf Nasenspray ist keine „Sucht“ im eigentlichen Sinne. Das Gefühl, dass nach Absetzen des Nasensprays die Nasenschleimhaut wieder stark anschwillt und man wieder zum Nasenspray greifen muss, ist zwar echt, aber keine Sucht! Es beruht auf dem sogenannten „Rebound-Effekt“. – Es können allerdings auch „bauseitige“ („anatomische“) Veränderungen im Naseninneren vorliegen.

Falls Sie also Schwierigkeit haben sollten, das Nasenspray nach dem Ende der Krankheit wieder abzusetzen, dann sollten Sie sich mal beim HNO-Arzt vorstellen! Gern auch bei uns!

 

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