Hin und wieder beklagen sich Patienten über weiße Stippchen auf den Mandeln. Andere glauben gar, dass sie eine „Mandelentzündung ohne Schmerzen und ohne Fieber“ haben. Wieder andere berichten von Steinen in den Mandeln, die manchmal herauskämen und dann einen schlechten Geschmack im Mund verursachen. Was hat es damit auf sich?
Die Mandeln gehören zum Abwehrsystem („Immunsystem“) des Körpers. Sie sind ein Teil des Immunsystems. Die Arbeit des Immunsystems, sein „Funktionieren“, kann man nicht direkt beobachten. Die Immunvorgänge spielen sich im mikroskopischen Bereich ab und eine Vielzahl von Mechanismen sind daran beteiligt! So gibt es eine Reihe von „immunkompetenten“ Zellen, zu denen hauptsächlich die weißen Blutkörperchen gehören. Zu den weißen Blutkörperchen gehören nicht nur die „Leukozyten“ (das Wort ist griechisch und bedeutet nichts anderes als „Weißzellen“) gehören, sondern auch die Lymphozyten. Zum Immunsystem gehören aber nicht nur die „zellulären“, sondern auch die „humoralen“ (das hat nichts mit „Humor“ zu tun!) Abwehrmechanismen, zu denen die chemischen Antikörper gehören. Ich möchte an dieser Stelle nicht das gesamte Abwehrsystem beschreiben – es würde den Rahmen eines Internetartikels hoffnungslos sprengen!
Jedenfalls: In den Mandeln bewegt sich nichts – es sind keine Muskeln. Die Mandeln filtrieren nichts – es sind keine Nieren. Die Mandeln produzieren nichts – es sind keine Drüsen. Rein optisch betrachtet, sind sie „einfach nur da…“
Aber wie funktioniert das denn jetzt mit der Infektabwehr in den Mandeln?
Es fängt bereits damit an, dass die Mandeln nicht „irgendwo“ im Körper sitzen, sondern im Mund-/Rachenraum! Das ist der Bereich, der bei der Nahrungsaufnahme am meisten mit körperfremdem Material in Kontakt kommt. Und im körperfremden Material – unserer Nahrung – sind natürlich auch – manchmal krankmachende – Keime enthalten. Im Mund-/Rachenraum könnten uns die Keime schon mal gefährlich werden! Weiter abwärts im Verdauungsweg nimmt diese Gefahr ab: Die meisten Keime überleben nicht mal unseren Magen, geschweige denn unseren Darm!
Also: Der Ort, wo die Mandeln sitzen, ist bereits genial gewählt!
Schauen wir uns die Mandeln mal genauer an: Es sind zahlreiche Einbuchtungen vorhanden! Unter dem Mikroskop ziehen sich diese Einbuchtungen wie Schläuche noch weiter in die Tiefe der Mandeln. Diese in der Tiefe der Mandeln verborgenen Gänge nennt man „Krypten“ (die Singularform „Krypta“ kennt man als „verborgenen“ Kirchenraum). In diese Krypten können sich kleine Mengen von Speiseresten absetzen. Wie bereits erwähnt, sind diese Speisereste nicht steril, sondern enthalten Keime (Bakterien, Pilze, Viren). „Von innen“ kommen jetzt die „immunkompetenten Zellen“ (Lymphozyten, Leukozyten) mit den Keimen in Kontakt und „lernen sie kennen“ – was nichts anderes bedeutet, als dass jetzt spezifische Abwehrstoffe gebildet werden – und das „Rezept“ für diese Abwehrstoffe an die anderen Immunzellen im ganzen Körper übermittelt wird. Die auf diese Weise vom Immunsystem „behandelten“ Keime sind fortan für den Körper nicht mehr unbekannt. Sollte es zu einer Invasion dieser Keime im großen Stil kommen, dann stünde unser Abwehrsystem schon längst bereit.
Wenn das Abwehrsystem die Keime kennengelernt hat, dann werden die Krypten wieder freigegeben: Das Gemisch aus Speiseresten, Keimen, weißen Blutkörperchen und abgestoßenen Oberflächenzellen gelangt in Form kleiner weißer Krümel in den Mund, wo sie uns Unbehagen bereiten (unangenehmer Geruch, unangenehmer Geschmack). Diese Krümel nennen wir „Detritus“. In die freigewordenen Krypten setzen sich nun andere Speisereste fest, die mit anderen Keimen beladen sind, sodass andere Immunzellen auch diese Keime kennenlernen können. Die Stärkung des Immunsystems schreitet auf diese Weise immer voran.
So. Jetzt wissen wir das!
Und was ergibt sich daraus?
1. Die weißen Stippchen auf den Mandeln bzw. die unangenehmen weißen Krümel im Mund sind kein Eiter, sondern „Detritus“!
2. Weiße Stippchen auf den Mandeln zu haben oder weiße Mandel-Krümel im Mund bedeutet nicht, krank zu sein! Es ist ein normaler Vorgang!
3. Das „Absaugen“ der Mandeln nützt nichts: Wenn die Krypten leergesaugt werden, füllen sie sich anschließend wieder. Man kann das nicht verhindern!
4. Auch das Aufbringen von Medikamenten auf die Mandeln oder die Einnahme – etwa von Antibiotika – ändert nichts an diesen regelmäßigen Abläufen!
Was kann man tun?
Gegenfrage: Muss man überhaupt etwas tun? Es handelt sich ja schließlich um einen normalen Vorgang im Körper, der das Abwehrsystem stärkt! – Gut: Wenn der Geruch und der Geschmack stark stören, dann kann man mit Mundwässern und Gurgellösungen den unangenehmen Geruch und Geschmack „übertünchen“. Das ist aber eine rein symptomatische Maßnahme gegen die unangenehmen Folgen der im Prinzip harmlosen – sogar nützlichen – Immunvorgänge in den Mandeln. Die „Arbeit“ der Mandeln – die Stärkung des Immunsystems – wird durch die Mundwässer und Gurgellösungen nicht gestört.
Kann man die Mandeln auch operieren?
Ja – natürlich kann man die Mandeln operieren! Die Frage ist, ob man das auch sollte! Keine Frage: Wenn die Mandeln chronisch krank sind – und das ist etwas völlig anderes, als hin und wieder unter unangenehmen Krümeln im Mund zu leiden – dann sollte man die Mandeln auf jeden Fall entfernen. Bei Detritus die Mandeln zu operieren: Das ist zumindest kein HNO-ärztlicher Grund! Die Gesundheit bzw. Gesunderhaltung des HNO-Systems erfordert bei Detritusproblemen keine Mandelentfernung!
Nun gibt es aber in der Medizin gelegentlich auch mal „weiche“ Entscheidungskriterien. Zahnärzte entfernen gesunde Zähne, wenn diese einem schönen Gebiss im Wege stehen. „Lebendspender“ spenden ihren schwer kranken Familienmitgliedern Organe oder Organteile (zum Beispiel eine Niere) – eine OP, die nicht der Gesundung des Spenders dient, sondern der des Empfängers! – Und wenn Detritus so belastend ist, dass eine Partnerschaft zu zerbrechen droht, dann kann man bei der Entscheidung zur Entfernung von ansonsten gesunden Mandeln mal „ein Auge zudrücken“ – zumal die Mandeln weniger als 1 % des gesamten Abwehrsystems ausmachen. – Aber: Eine solche Entscheidung will gut überlegt sein!
05.08.2015: Ich bedanke mich für die rege Diskussion zu dem Thema. Es wurden sehr viele Facetten des Themas aufgegriffen. Dennoch bitte ich um Verständnis, dass weitere Kommentare zu dem Thema nun nicht mehr veröffentlicht werden.