Ich möchte mal ein paar Worte zum Thema „Was wir so glauben“ verlieren. Jetzt nicht im religiösen Sinne, sondern ganz allgemein.Es ist ja nun nicht zu bezweifeln, dass der Mensch ein „gläubiges Tier“ ist – man darf durchaus auch sagen „ein leichtgläubiges Tier“. Wie konnte das passieren?
Antwort: Glaube hat sich bewährt!
Nicht nur Menschen, sondern auch Tiere sind gläubig! Diese „gläubige Grundhaltung“ kommt aus der Evolution! Warum?
Glaube ist eine Form des Erkenntnisgewinns! Keine Frage – neben dem Glauben gibt es noch andere Formen des Erkenntnisgewinns: Messen, Forschen, Wissenschaft betreiben! Gegenüber dem „messenden Menschen“ hat der „gläubige Mensch“ eindeutig Nachteile! Glaube ist in viel größerem Maße fehlerbehaftet als Wissenschaft! Wie kommt es, dass diese fehlerbehaftete Methode zur „Erkenntnis“-Gewinnung dennoch von der Evolution hervorgebracht wurde?
Weil Glaube nicht nur den genannten Nachteil hat, sondern auch einen Vorteil: Glaube ist schnell! Der Geschwindigkeitsvorteil konnte lebensrettend wirken, selbst, wenn die „Erkenntnis“ fehlerhaft gewesen sein sollte!
Jetzt muss ich auch noch ein paar Worte zum Thema „Fehler“ verlieren. Es gibt ja mehrere Möglichkeiten, Fehler zu machen. Ein Beispiel:
Angenommen, in grauer Vorzeit sieht ein Steinzeitmensch zwischen den Bäumen des Waldes einen Schatten, der so ähnlich aussieht wie der Schatten eines Raubtieres. Er hat jetzt zwei Möglichkeiten. Erste Möglichkeit, er nimmt an, es sei tatsächlich ein Raubtier und er läuft weg. Er überlebt. Wenn es tatsächlich ein Raubtier war, hat er nichts falsch gemacht. Wenn es nur ein Schatten war, hat er einen „falsch positiven“ Befund erhoben. Aber dieser Fehler hat keine weiteren Konsequenzen; der Steinzeitmensch ist lediglich unnötigerweise geflüchtet. Zweite Möglichkeit: er bleibt. Wenn es tatsächlich ein Schatten war, hat er nichts falsch gemacht. Wenn es aber ein Raubtier war, hat einen „falsch negativen“ Befund erhoben. Dieser Steinzeitmensch ist dann nicht unser Vorfahr’ geworden…
Der Steinzeitmensch hätte auch „wissenschaftlich“ vorgehen können – natürlich mit den Methoden seiner Zeit – er hätte – zum Beispiel – eine Art Zeichnung vom Schatten / Raubtier fertigen können, um dann – zum Beispiel – beim Malen der Augen feststellen zu müssen, dass es solche Lichtreflexe nur bei echten Raubtieren gibt. Aber auch dieser „wissenschaftliche Steinzeitmensch“ ist nicht unser Vorfahr’ geworden… Er war zu langsam…
Ein einfaches und schnelles: „Ich glaube, jetzt wird’s gefährlich“ hat unserem ersten Steinzeitmenschen das Leben gerettet. Und dafür gesorgt, dass wir heute noch genauso „ticken“ wie dieser Steinzeitmensch.
Aber wir leben nicht mehr in der Steinzeit! Wir leben heute! Erstens ist Genauigkeit und Fehlerfreiheit für uns heute von wesentlich größerer Bedeutung als für die Steinzeitmenschen. Und zweitens sind Messungen auch deutlich schneller geworden. Und nicht jedes Problem ist ein Zeitproblem. Zum Beispiel Fragen nach der besten medizinischen Behandlung: Diese Fragen müssen grundsätzlich geklärt werden. An Universitäten. Und der auf diese Weise gewonnene „wissenschaftliche Erkenntnisgewinn“ ist erstens viel wertvoller als ein erster „Erkenntnisgewinn“ durch Glaube. Und zweitens kann er in Lehrbücher geschrieben werden, sodass man später immer wieder und durchaus schnell auf diese Erkenntnisse zurückgreifen kann!
Glaube hat seine Berechtigung, solange es kein Wissen gibt. Glaube ist im Prinzip gut, Wissen ist aber besser. Das Bessere ist der Feind des Guten!
Stellen Sie sich mal folgende Situation vor:
Ein Polizist steht am Straßenrand und denkt: „Ich glaube, das Auto, das da auf mich zukommt, ist sicher viel zu schnell! Dem Fahrer werd’ ich mal ein Knöllchen verpassen!“ Und dann zückt er seine Laser-Pistole und misst. Und stellt überrascht fest: Das Auto ist gar nicht zu schnell! Es hält die erlaubte Geschwindigkeit so gerade ein.
Und dann sagt sich der Polizist: „Ach papperlapapp! Wissenschaft ist nur etwas für abgehobene Freaks! Die sitzen in ihren Elfenbeintürmen und faseln von Laserlicht, von Lichtgeschwindigkeit, von Laufzeiten, von Nanosekunden und von Nanometern! Das kann ich alles überhaupt nicht verstehen! Die Wissenschaftler, die diese Laser-Pistole erfunden haben, können mir alles Mögliche erzählen – kontrollieren kann ich es ja nicht! Außerdem wissen auch Wissenschaftler nicht alles! Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erden, die verstehen Wissenschaftler nicht! Nein, ich verlasse mich auf das, was ich zu sehen geglaubt habe! Der Kerl kriegt ein Knöllchen!“
Ich möchte mal den Autofahrer sehen, der sich darauf einlassen würde!
Und dann kommen Homöopathen daher und geben einem verschnupften Zeitgenossen Kügelchen. Wenn dieser dann endlich auch mal gesund wird, denkt der Homöopath: „Klar – das war ich mit meiner genialen Therapie!“ Und wenn wissenschaftliche Studien zu dem Ergebnis kommen, die Kügelchen können es nicht gewesen sein, dann sagt der Homöopath: „Ach papperlapapp! Wissenschaft ist nur etwas für abgehobene Freaks! Die sitzen in ihren Elfenbeintürmen und faseln von Molekülen, die nicht vorhanden sind, von Spontanheilung, von Placebo-Effekten, von selektiver Wahrnehmung und von Wunschdenken! Das kann ich alles überhaupt nicht verstehen! Die Wissenschaftler, die diese ‚Schulmedizin’ ‚erfunden’ haben, können mir alles Mögliche erzählen – kontrollieren kann ich es ja nicht! Außerdem wissen auch Wissenschaftler nicht alles! Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erden, die verstehen Wissenschaftler nicht! Nein, ich verlasse mich auf das, was ich zu sehen geglaubt habe! Der Kerl kriegt ein Kügelchen!“
Ich möchte mal den Homöopathie-Freak sehen, der sich nicht darauf einlassen würde!
Wie kommt es eigentlich, dass, wenn es um Geld geht, die Leute sich nur auf Messwerte verlassen, aber, wenn es um Leben und Gesundheit geht, auf Glaube?
Tja. Und das ist es, was ich nicht verstehe!
Dem Glauben kommt die Rolle als Anfangsverdacht zu. Aber das war’s dann auch schon! Einen Anfangsverdacht zu haben, ist durchaus erlaubt! Bei spontanen Beobachtungen den Glauben „einzuschalten“, halte ich nicht für ehrenrührig (es ist ja eine evolutionäre Strategie!). Aber anschließend das Denken „abzuschalten“: Das ist nicht ehrenvoll…
Eigentlich ist der Beitrag hier zu Ende. Aber ich habe oben geschrieben, dass auch Tiere gläubig sind. Ich möchte noch erklären, warum.
Es geht um den Verhaltensforscher Konrad Lorenz. Er hatte die Graugans „Martina“ auf sich geprägt. Martina hielt also Konrad Lorenz für ihre Mutter. Martina hatte ihr Zimmer im Haus im ersten Obergeschoss. Die Treppe zum ersten Obergeschoss bog im rechten Winkel vom Flur ab. Martina durfte tagsüber im Garten sein; abends holte Konrad Lorenz sie ins Haus. Beim allerersten Mal ging Konrad Lorenz vor Martina her und zeigte ihr den Weg. Martina folgte. Konrad Lorenz bog im Flur scharf ab und ging die Treppe hinauf. Martina hatte das zu spät mitbekommen: sie watschelte geradeaus weiter. Als sie ihren „Fehler“ bemerkte, machte sie eine scharfe Spitzkehre, ging das Stück zur Treppe zurück und dann hinauf in ihr Zimmer. Dort hatte sie es bequem und warm.
Von nun an machte Martina jeden Abend, wenn sie ins Haus durfte, diese Spitzkehre! Es war ein Ritual geworden! Martina wusste nicht, warum es wirkte – aber sie „glaubte“, dass es das „Ritual Spitzkehre“ war, die ihr die Ruhe und Bequemlichkeit verschaffte. Und dieses Ritual durchzuführen, kostete ja auch nichts!
Eines abends fing es an zu gewittern. Und Konrad Lorenz hatte Martina draußen vergessen! Als ihm einfiel, dass Martina noch draußen war, ließ er die – sehnsüchtig auf Einlass wartende – Gans ins Haus. Martina rannte so schnell sie konnte ins Haus und die Treppe hinauf – ohne Spitzkehre! Oben angekommen, hat sie sich fürchterlich erschrocken! Sie lief sofort die Treppe wieder herunter, machte die Spitzkehre und rannte dann die Treppe wieder hinauf! Erst dann sank sie völlig erschöpft auf ihr Lager. Diese Geschichte kann man sich übrigens von Dr. Rainer Wolf (Mitglied der GWUP) erzählen lassen.
Es besteht kein Zweifel daran, dass Martina – fälschlicherweise – glaubte, die Spitzkehre sei lebensrettend. Sie ist es nicht! Martina hat einen „falsch positiven“ Befund erhoben. Der blieb aber ohne Folgen und deshalb bemerkte sie ihren Fehler nicht. Martina ist einem Aberglauben aufgesessen.
Wodurch unterscheidet sich Martina von den Homöopathen, die bei Wehwehchen Kügelchen geben? Homöopathen glauben, die Kügelchen seien eine wirksame Behandlung. Sie sind es nicht! Die Homöopathen haben einen „falsch positiven“ Befund erhoben. Der bleibt aber (zunächst mal) ohne Folgen und deshalb bemerken die Homöopathen ihren Fehler nicht. Sie sind einem Aberglauben aufgesessen.
Martina konnte nicht lesen, nicht schreiben, nicht sprechen. Andernfalls hätte sie sich bei Konrad Lorenz schlau machen können.
Homöopathen können lesen, schreiben und sprechen. Sie könnten sich bei Wissenschaftlern schlau machen. Tun sie aber nicht! Sie verstehen und vertrauen Wissenschaftlern nicht. Und Wissenschaftler können ja auch nicht über den Tellerrand schauen…
Siehe auch Alternativmedizin und Klartext über Homöopathie.