Zum Abschluss des Kapitels über die Therapie des Tinnitus muß ich noch mal auf die Seele zu sprechen kommen. Jede Therapie hat nämlich auch Auswirkungen auf die Seele! Wenn der Arzt eine Therapie anordnet, dann läuft gleichzeitig zwischen Arzt und Patient eine „non-verbale Kommunikation“ – eine „Unterhaltung ohne Worte“. Der Patient nimmt nämlich automatisch an, dass er krank ist – auch wenn der Arzt diese Annahme gar nicht gewollt hat. Je intensiver die Therapie, desto kränker glaubt sich der Patient. Gleiches gilt auch für den Zeitpunkt der Therapie: je dringlicher der Arzt die Therapienotwendigkeit macht, desto größer werden die Ängste und Befürchtungen der Patienten. Tinnituspatienten sollten sich aber gerade nicht krank fühlen, denn das ist „kontraproduktiv“ – es stört also die Erfolgsbemühungen! Dringlich gemachte und intensive Therapien erklären – automatisch – den Tinnitus zum Alarmsignal! Damit werden die Therapiebemühungen „konterkariert“! Die durch den Alarmcharakter ausgelösten Befürchtungen der Patienten sind nämlich „sich selbst erfüllende“ Befürchtungen!
Jede regelmäßig durchzuführende Therapie „erinnert“ regelmäßig an den Tinnitus. Der Tinnitus ist ja der Grund für die Therapie und so werden Ursache und Folge beständig miteinander „verknüpft“. Jeder Gedanke an die Folge (Therapie) löst automatisch Gedanken an die Ursache (Tinnitus) aus: wieder solch ein „bedingter, Pawlow’scher Reflex“! In jeder Form der Therapie steckt also die Gefahr, dass die positive Wirkung am Körper durch negative Wirkungen an der Seele zunichte gemacht werden!
Sie haben den „Teufelskreis“ ja schon kennengelernt: Der Tinnitus kann die Gedanken „festkleben“ und die Gedanken können den Tinnitus „festkleben“. Das Fatale ist: je öfter dieser Teufelskreis durchlaufen wird, desto mehr „schleift er sich ein“, desto hartnäckiger bleibt er. Das Problem ist: alles, was man unternimmt, um den Tinnitus zu beseitigen, läßt den Teufelskreis schneller rotieren! So bekommt jede Therapie – selbst die beste – den Misserfolg ins Stammbuch geschrieben. Auch Therapieversuche wirken wie Strudel, nur mit anderem Vorzeichen: man will weniger wissen, ob der Tinnitus lauter wird, sondern eher, ob er durch die Therapie leiser wird!
Gibt es gar keine Hoffnung?
Doch! Sie als Patient müssen den „bedingten Reflex“, diese ständige Verknüpfung der Therapie mit dem Tinnitus, vermeiden und am besten durch andere Verknüpfungen ersetzen! Sie dürfen die Therapie nicht auf das „Konto“ Tinnitus „buchen“, sondern auf das Konto „Jungbrunnen“, oder „Stoffwechsel-Erholungskur“ – sie dürfen sich auch selbst positive „Konto“-Namen ausdenken! Sie müssen den Teufelskreis durchbrechen, indem Sie sagen: „Mein Tinnitus klebt meine Gedanken nicht mehr fest! Mein Tinnitus ist mir uninteressant geworden. Mich interessiert der Therapieerfolg überhaupt nicht – ich will gar nicht wissen, ob die Medikamente wirken. Deshalb beobachte ich den Tinnitus ab jetzt auch nicht mehr.“
Der Arzt steht also – bei nicht informierten Patienten – vor der Situation, dem Körper mit Medikamenten helfen zu wollen ohne den gleichzeitigen Schaden an der Seele verhindern zu können.
Sie als informierter Patient müssen da helfen: ich möchte gerne die positive Wirkung der Therapie nutzen, ohne die negativen Wirkungen in Kauf zu nehmen. Das ist doch auch in Ihrem Interesse! – Erst jetzt, nachdem Sie über diese Zusammenhänge genau Bescheid wissen, ist es sinnvoll, mit der Therapie zu beginnen. Denn jetzt wissen Sie, wie Sie die negativen Wirkungen der Therapie vermeiden können: indem Sie die Therapie nicht Therapie nennen, sondern „Erholungskur“ und indem sie nicht den Tinnitus als Ursache für eine Therapie ansehen, sondern Ihr allgemeines Bedürfnis nach Ruhe, Erholung und „Streicheleinheiten“ für die Seele! Beobachten Sie nicht den Wirkungseintritt der Therapie! Setzen Sie sich nicht selbst unter Zeit- und Erfolgsdruck! Erfolg hat die Therapie nur, wenn Sie nicht damit rechnen!
Es ist in schweren Fällen von Tinnitus vielleicht auch mal ratsam, eine Kur durchzuführen. Man muß aber wissen, was eine Kur leisten kann und was nicht. Jedenfalls kann es leicht passieren, dass der Tinnitus zum überragenden Gesprächsthema wird, wenn man 4 oder 6 Wochen lang – 24 Stunden täglich! – unter gleichgesinnten Mitpatienten ist. Lassen Sie also Ihre Kur nicht zu einem in Selbstmitleid zerfließenden Debattier-Club verkommen!
Möglicherweise müssen Sie bei einer Kur einen Selbstkostenanteil bezahlen. Wir empfehlen Ihnen, sich vorab danach zu erkundigen.
Zum Abschluss noch der Hinweis auf die Selbsthilfe-Gruppe für Tinnitus-Patienten: es gibt die Deutsche Tinnitus-Liga, die sich um die Belange der Tinnitus-Patienten kümmert. Die Informationen der Tinnitusliga sind sicher vielseitig. Aber bewahren Sie Ihre Kritikfähigkeit: Informationen können auch verunsichern oder desillusionieren! Beunruhigende Informationen können krank machen sowie beruhigende Informationen auch etwas gesund machen können! Und es gilt auch: Die Tinnitus-Liga sollte Ihnen nicht als Dauer-Publikum für Ihre Leidensgeschichten dienen. Sicher muß man sich mal sein Leid von der Seele reden. Aber nicht andauernd!
Deutsche Tinnitus-Liga e. V.
Gemeinnützige Selbsthilfeorganisation
Postfach 349
42353 Wuppertal
Erbschlöer Straße 22 in Wuppertal-Ronsdorf
Tel.: 0202 / 246520
Fax: 0202 / 4670932
Und wenn dann noch ein Rest-Tinnitus übrig bleiben sollte, dann sehen Sie den doch einfach positiv: nachdem wir oben schon darauf hingewiesen haben, dass Tinnitus mit Streß und seelischem Druck zusammenhängt, dann können Sie den Tinnitus auch als „Streß-Manometer“ bezeichnen. Sie sind dann in der (mehr oder weniger) „glücklichen“ Lage, Ihren Streß rechtzeitig zu „hören“ – und die Konsequenzen zu ziehen: werden Sie ruhiger. Wer jedesmal vor Streß gewarnt wird und Gelegenheit hat, „einen Gang herunter zu schalten“, der bekommt nicht so schnell einen Herzinfarkt!
Wir wünschen Ihnen einen guten Therapieerfolg!