Ein Gastbeitrag von Udo Hilwerling
https://www.facebook.com/udo.hilwerling/posts/10208676931706653
…und da ist er wieder, der Satz, dieser vermaledeite Satz, der alles erklärt und alles totschlägt: „Wer heilt, hat Recht“.
Wer heilt, hat Recht! Na klar! Ist doch so! Es ist doch so einfach. Wer heilt, hat Recht. Sagt ja auch der Onkel vom Radio. Der muss es ja schließlich wissen.
Und weil es so einfach ist, dass das jeder versteht und von unbestechlicher Logik zu sein scheint, nehmen gefühlte 90% der Befürworter oder Mitläufer pseudowissenschaftlicher Medizin diesen wunderbaren Satz in ihr Repertoire auf und blasen ihn in die Welt, wann immer sie mit Kritik an ihren Äußerungen, ihrer Praxis, ihrer Weltanschauung oder auch „Medizin-Religion“ konfrontiert werden – und versuchen damit, eine Diskussion, die auf Basis von Fakten ablaufen könnte, im Keim zu ersticken (oder die Flucht nach vorn zu ergreifen, wenn sie angesichts der Faktenlage ihre Felle schwimmen sehen). Leider schaffen sie das allzu häufig auch. Sag mal einer was gegen Homöopathie. Wenn man diesen Satz dann von der anderen Seite vorgesetzt bekommt, auch noch gewürzt mit allerlei Anekdoten über vermeintliche Heilungserfolge, dann steht man ganz schön blöd da. Es sei denn, man hat diesen Satz als solchen erkannt, was er ist: Ein logischer Fehlschluss und eine Anmaßung an die evidenzbasierte Medizin.
Wer heilt, hat Recht – zunächst einmal ist das ja ganz richtig. Wenn mir mein Arzt bei einer starken Bronchitis, Lungen- oder Mittelohrentzündung ein Antibiotikum verschreibt, das die Bakterien und damit die Ursache der Entzündung beseitigt und sich daraufhin meine Genesung einstellt, dann hat er selbstverständlich „Recht“ in dem Sinne, dass seine Behandlung die Richtige war. Selbstverständlich hat auch ein Orthopäde „Recht“, mein gebrochenes Bein einzugipsen und mein Augenarzt „Recht“, wenn er mir gegen eine Bindehautentzündung die richtigen Tropfen verschreibt. Und auch mein Automechaniker hatte Recht, als er meinen alten Peugeot durch Auswechseln eines alten, defekten Ventils vom Öltröpfeln „heilte“.
Also hat der Homöopath doch auch Recht, wenn ich nach der Einnahme von Globuli gesund werde?!
Mitnichten. Ganz und gar nicht. Denn „er“ heilt nicht. Die Homöopathie besteht in aller Regel aus Zuckerkugeln, die mit inhaltsleerem Wasser oder inhaltsleerer Alkohollösung besprüht worden ist, oder gleich nur aus inhaltsleerem verdünntem Alkohol. In aller Regel enthält ein Homöopathikum nichts mehr von dem, was ursprünglich, vor der Verdünnung (entschuldigung, Potenzierung – soviel pseudowissenschaftliche Schwurbelei muss sein!), sich einmal „Urtinktur“ nennen durfte (und schon in diesem Zustand aus naturwissenschaftlich-medizinischer Sicht kompletter Humbug war).
Daher heilt der Homöopath aus vielerlei Sicht nicht:
– Das Mittel, das er gibt, ist inhaltsleer und hat daher keine Wirkung (alle wissenschaftlich relevanten Studien ergeben, dass homöopathische Mittel lediglich den Placeboeffekt auslösen helfen).
– Daher ist es auch vollkommen egal, welches Homöopathikum gegeben wird. Auch in dieser Hinsicht hat der Homöopath mit der Heilung also reinweg gar nichts zu tun, außer, dass er letztlich den Placeboeffekt auslösten hilft.
– Der Homöopath ist also an der Heilung nicht beteiligt in der Hinsicht, dass er (als „Experte“) oder seine Pseudo-Medikamente nachvollziehbar ursächlich einen Heilungseffekt auslösen würden. Er kann daher auch nicht Recht gehabt haben. Denn die Entwicklung, die der Genesende erlebt hat, hätte in gleicher Form auch von jemand anderem ausgelöst werden können (Placeboeffekt).
– In den meisten Fällen aber wäre die Heilung sogar ganz von selbst eingetreten. Kügelchen, die bei Fieber helfen sollen, bei Schnupfen, gegen blaue Flecken oder gegen Husten, brauchen keinen Placeboeffekt auszulösen, um beim Patienten eine Heilung „zu bewirken“. Die kommt nämlich auch von ganz allein – ganz ohne Hokuspokus. Da braucht man keine Kügelchen, die „den Körper wieder ins energetische Gleichgewicht bringen“ (was auch immer das heißen mag – aber zum Missbrauch naturwissenschaftlicher Ausdrücke durch Pseudomediziner schreibe ich vielleicht ein andermal etwas).
Also: Wer heilt, hat Recht. Stimmt. Aber der, der heilt, muss dann auch die klare Ursache für die Heilung gesetzt haben, wenn er das sachliche Rechthaben beanspruchen will. Aber beim Homöopathen gibt es keinen „Wer„, es gibt keinen „Wer oder was, der oder das heilt„, also gibt es auch kein „Rechthaben„.
Der schöne einfache Satz entpuppt sich also als Luftblase. Er ist nichts anderes als der Versuch, die Erfolge der naturwissenschaftlich begründeten Medizin oder die Selbstheilungskräfte des Körpers für sich, seine Ziele, sein Weltbild, seine Relgion und / oder sein Geschäftsmodell frech zu kapern. Ein Armutszeugnis.
Vor einiger Zeit war ich übrigens mit meinem oben schon erwähnten alten Peugeot beim ebenfalls schon erwähnten „Heilmechaniker“, weil es eine Fehleranzeige gab, die gelegentlich anging und dann wieder aus. Da war keine Regelmäßigkeit zu erkennen. Der Mechaniker ging einmal ums Auto, fragte nach dem Baujahr und sagte mir dann, ohne weitere Untersuchung, das sei ein bekanntes Problem. Da gäbe es ein Ventil, das ganz selten mal klemme und sich aber von selbst wieder „losrappele“. Dann ginge die Fehleranzeige von selbst auch wieder aus. Unverrichteter Dinge fuhr ich also wieder weg von der Werkstatt. Das Lämpchen ist danach nie wieder angegangen. Mein Auto war genesen. Ohne, dass der Mechaniker irgendwas gemacht hätte. Tja, wer heilt, hat eben Recht, nicht wahr?