Was haben Krankheiten und Aktienkurse miteinander zu tun?
Auf den ersten Blick natürlich nichts! Abgesehen davon, dass ein fallender Aktienkurs seinem Besitzer Kopfschmerzen machen kann … Auf den zweiten Blick wird einem vielleicht auch einfallen, dass einige Pharmafirmen Aktienunternehmen sind, deren Kurse immer dann steigen, wenn die Erkrankungszahlen steigen …
Auf diese Selbstverständlichkeiten möchte ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen.
Von großer Bedeutung ist, dass die Zeitverläufe sowohl von Aktien als auch von Krankheiten „zackeln“. Ihr Verlauf ist chaotisch: mal nach oben, mal nach unten. Niemand weiß, wann die nächste Talfahrt eines Aktienkurses kommt oder beendet ist. Aktienkurse lassen sich nicht sekundengenau vorhersagen. Krankheitsverläufe auch nicht.
Aber: Trotz des chaotischen Verhaltens „im Kleinen“ gibt es Tendenzen „im Großen“, die durchaus mit akzeptablen Wahrscheinlichkeiten vorhergesagt werden können! Das Geschäft der Aktienhändler lebt davon! Was macht ein Aktienhändler, wenn er sieht, dass seine Aktie im Wert steigt? Er überlegt sich, ob sie vielleicht noch weiter steigt oder ob sie in nächster Zeit wieder fallen könnte! Droht ein Absturz der Aktie, wird der Händler vermutlich die Aktie schnell verkaufen. Besteht berechtigte Hoffnung, dass die Aktie weiter steigt, dann wird der Händler die Aktie vermutlich im Bestand halten – in der Hoffnung, dass seine Hoffnung sich bewahrheitet! Und wenn die Aktie dann gestiegen ist, steht der Händler vor dem gleichen Problem. Irgendwann wird er die Aktie verkaufen. Irgendwann wird der Händler den Aktiengewinn „mitnehmen“ wollen, selbst auf die – mit zunehmender Beobachtungsdauer abnehmende – „Gefahr“ hin, dass die Aktie weiter steigt und der Händler keinen Gewinn mehr mit bereits verkauften Aktien machen kann.
Die Strategie des Aktienhändlers ist also: Aktien werden verkauft, wenn sie möglichst teuer sind, aber abzustürzen drohen und sie werden eingekauft, wenn sie möglichst „billig“ sind, es aber berechtigte Hoffnung auf Wertsteigerung gibt. Dieser Handlung liegt die Überlegung zu Grunde, dass Aktien einen echten und realen Wert haben. Sie können diesen Wert kurzfristig mal ungerechtfertigt übersteigen oder unterbieten – wem fällt nicht gleich die „Immobilienblase“ ein -, aber sie finden langfristig immer wieder zum eigentlichen Wert zurück, der irgendwo in der Mitte zwischen Wucher- und Dumpingpreis liegt. Derartige Zeitverläufe von Daten nennt man in der Statistik „Zurückgehen zur Mitte“ oder mit dem Fachwort „Regression zur Mitte“. An dieser Stelle soll unser kleiner und höchst unvollständiger Ausflug in die Wirtschaftswissenschaft auch schon beendet sein.
Und wie verhalten sich chronische Krankheiten? Kopfschmerzen? Neurodermitis? Ekzeme? Hoher Blutdruck? … Wie verhalten sich Patienten, die unter solchen Krankheiten leiden?
Langer Rede kurzer Sinn: Die Krankheitsverläufe verhalten sich statistisch genauso wie Aktienkurse! Kopfschmerzen können zunehmen – aber nicht über jede Grenze! Irgendwann werden die Schmerzen wieder rückläufig sein – müssen! Irgendwann wird jeder Juckreiz wieder rückläufig sein – müssen! Irgendwann sinken hohe Blutdruckwerte auch mal wieder, denn sie können nicht unaufhörlich steigen! Und dieses Verhalten – eine „Regression zur Mitte“ – stellt sich ganz automatisch ein, ohne, dass der Mensch eingreifen muss! Also auch ohne Medikamente!
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Der Mittelwert, der sich bei einer Krankheit ohne Behandlung einstellt, ist nur ein statistisch „mittiger“ Wert! Es ist kein „gesunder“ Wert! Das Wesen der Erkrankung liegt ja gerade darin, dass alle diese krankheitsbestimmenden Werte zu hoch sind – und der dadurch festgelegte Mittelwert auch! Zu hohe – krankhaft hohe – Werte sind selbstverständlich behandlungspflichtig! Also bitte nicht eigenmächtig die Arzneimittel absetzen, weil hohe Werte „ganz von allein“ mal wieder niedriger werden! Ohne Medikamente werden sie nämlich auch „ganz von allein“ wieder höher! Und so niedrig, wie sie sein sollten, werden sie von allein nun auch wieder nicht.
Und wie verhält sich jetzt ein Patient, der einen fluktuierenden – aktienkursähnlichen – Krankheitsverlauf hat? Bei geringen Beschwerden macht er nichts. Steigen die Beschwerden, dann folgt ein aufmerksames Beobachten. Werden die Beschwerden noch größer und nahezu unerträglich, dann greift er zu Medikamenten. Und dann werden die Beschwerden wieder geringer …
Woran hat es jetzt gelegen, dass die Beschwerden wieder geringer geworden sind? An den Medikamenten? Oder am natürlichen Krankheitsverlauf, der ganz „automatisch“ auf jede Spitze ein Tal folgen lässt?
Diese Frage ist nicht trivial! Sie ist keineswegs leicht zu beantworten! Und schon sind wir mittendrin in einem spannenden Kapitel der Statistik!
Pharmakologen und Ärzte müssen wissen, ob ein Medikament wirksam oder unwirksam ist! Am bloßen Rückgang der Beschwerden kann man es nicht erkennen! Beschwerden, die nach einer Medikamenteneinnahme rückläufig sind, sind nicht notwendig wegen der Medikamenteneinnahme rückläufig! Sie hätten auch ohne die Medikamente rückläufig sein können! Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, aus jeder zeitlichen Korrelation einen Kausalzusammenhang konstruieren zu wollen!
Aber es gibt ja nicht nur unwirksame Medikamente, sondern – gottlob! – auch wirksame! Im Gegensatz zu den unwirksamen werden die wirksamen Medikamente die Werte tiefer senken und länger anhaltend – und vor allem der Mittelwert wird sinken! Es wird unter wirksamen Medikamenten zwar auch eine „Regression zur Mitte“ geben – aber eine Regression zur – nennen wir es mal – „neuen Mitte in der Tiefe“, zur „gesunden Mitte“.
Im oberen Teil des Bildes sieht man die Gabe eines unwirksamen Medikamentes, das sporadisch genommen wird – aber immer an hohen Kurvenpunkten (= starke Beschwerden). Oftmals fallen die Kurvenpunkte danach ab, aber nicht immer. Und sie fallen auch oftmals ohne vorherige Medikamenteneinnahme nach hohen Werten wieder ab! Eine Besserungstendenz ist insgesamt jedoch nicht vorhanden. Im unteren Teil des Bildes werden wirksame Medikamente nach einem festen Zeitplan genommen. Obwohl die Kurve nach wie vor „zackelt“, ist eine Besserungstendenz nicht zu übersehen.
Es bedarf einer ziemlich „ausgefuchsten“ Mathematik, um echte Effekte von Scheineffekten zu unterscheiden! Eine einfache Beobachtung: „Uups – ich habe Globuli (Anthroposophika, Bachblüten, Schüsslersalze, Akupunktur, Bioresonanz …) genommen und schon sind meine Kopfschmerzen (Juckreiz, Blutdruckwerte, Blutzuckerwerte …) geringer geworden“, ist jedenfalls kein Beweis für die Wirksamkeit von Scharlatanerie!
Wie ich nicht müde werde zu betonen ist die Homöopathie (einschließlich der Sonderformen Anthroposophie, Bachblüten, Schüsslersalze usw.) eine Irrlehre, die keinerlei Bezug zur Realität hat! Man kann ihr auch keine Wirkung zuschreiben, wenn man nach einer einfachen Beobachtung in Unkenntnis des Phänomens „Regression zur Mitte“ und in Unkenntnis sicherer statistischer Verfahren glaubt, eine Wirksamkeit gefühlt zu haben! Unkritischer Glaube führt nämlich in die Irre!
Vor einigen Jahren hatte ich mal infolge einer Sportverletzung einen Kniegelenkserguss. Die Beweglichkeit war zwar beeinträchtigt, schmerzhaft war das Knie nicht. Aber der Verlauf war langwierig! Anfangs war ich ja geduldig, aber jede Geduld hat ja auch mal ein Ende! Irgendwann hat mir der Orthopäde eine Magnetfeldtherapie vorgeschlagen. Die Wirkung der Magnetfeldtherapie ist physikalisch so gut wie unmöglich, da Körpergewebe nicht magnetisch ist. Ich wusste, dass die Therapie nicht wirken kann! Dennoch empfand ich in dieser Situation, dass ein Therapieversuch einen gewissen „Charme“ hat. Hin- und hergerissen habe ich die Therapie noch etwas weiter hinausgeschoben. Eines Tages war es soweit: Ich habe einen Behandlungstermin vereinbart für „in einer Woche“. Und was soll ich sagen: Nach einer halben Woche, bevor der Termin stattfand, war der Erguss plötzlich weg! Ich möchte nicht wissen, wie sich mein Denken verändert hätte, wenn der Erguss erst 3 Tage später verschwunden wäre! Schließlich bin auch ich nur ein Mensch …